Der Blitz

Von Tobias Mike (Kronenzeitung 6. August 2005)

 

Der Urblitz

 

  Weltweit diskutieren Wissen-schafter gerade einen Artikel den Kardinal Schönborn in der „New York Times" geschrieben hat. Darin bekräftigt er, dass aus Kirchensicht die belebte Welt nach einem intelligenten Schöpfungsplan und nicht von allein entstanden ist. Aus wissenschaftlicher Sicht ist unser Erkenntnisstand, dass der Aufbau der Atome, der anorganischen und organischen Moleküle, der Zellen und schließlich ganzer Lebewesen „logischen" Prinzipien folgt und die Entwicklungs­geschichte bis hin zum Menschen erklärt. Spannend dabei ist, wie die ersten  Moleküle entstanden, aus denen sich lebendige Materie entwickelte. Dazu machte der Student Stan Miller 1953 ein beachtliches Experiment: In einen geschlossenen Glaskolben mit Wasser füllte er eine Mischung der Gase Sauerstoff, Stickstoff, Wasserstoff und Methan. Dann zündete er darüber elektrische Blitze und  siehe da, nach Tagen entstand

aus dem Wasser eine ,Ursuppe". in der sich Moleküle lebendiger Organismen wie Aminosäuren identi-fizieren Iießen. So viel zur ernüchternden Geschichte, wie mit Blitzen die Urbausteine des Lebens entstanden. Was können wir daraus für die  „Schönborn‑ Diskussion" ableiten? Für mich ist nicht die Frage entscheidend, wie wir entstanden sind, sondern dass es uns gibt. Dazu existieren noch so viele ungeklärte Fragen außerhalb des abgesicherten Weltbildes, dass eine Suche nach religiösen Begründungen gar nicht das Thema sein kann. Die Religion liefert ihre eigenen Erklärungen. Der Streit ist deshalb überflüssig.

 

 

Blitzschnell, brandgefährlich und noch lang nicht erforscht. Wenn der Funke zwischen Himmel und Erde springt, heißt's: „Volle Deckung!"

 

Blitzforschung kann sehr langweilig sein. So soll der Schweizer Blitz­Pionier Karl Berger, auf dessen Be­obachtungen auch heute noch viele Erkenntnisse beruhen, in den 50er Jahren tagelang bei Schlechtwetter mit Messinstrumenten auf seinem Hausberg gesessen und auf einen Einschlag gewartet haben.

Blitzforschung kann aber auch so haarsträubend spannend sein, wie Fangenspielen mit einem unsichtbaren, tödlichen Monster: Dazu schieße man als Köder eine kleine Rakete in den spannungsgeladenen Gewitterhimmel, an deren Ende ein 700 Meter langer Kupferdraht gewissermaßen als Angelschnur hängt und laufe dann so schnell wie möglich davon. Mit etwas Glück wird die Harakiri‑Aktion mit einem 30.000 Grad heißen, weißglühenden Plasmastrahl belohnt, der die "Kupferangel" im Bruchteil einer Sekunde verdampfen und die ihn umgebende Luft mit einem ohrenbetäubenden Knall und einer markerschütternden Druckwelle explo-dieren lasst . . .

So ähnlich, wenn auch sehr viel professioneller, holen sich moderne Blitzforscher wie der Wiener Dr. Gerhard Diendorfer, Chef des österreichischen Mess‑Instituts ALDIS heutzutage einen Blitz vom Himmel, um ihn zu untersuchen. Denn an der Entstehung dieser gewaltigen KurzschIüsse zwischen Himmel and Erde ist noch vieles ungeklärt.

Bekannt ist zumindest Folgendes : Kleine Eis‑ und Wasserpartikel reiben in einer Wolke aneinander und laden sich dabei auf, wobei die positiv geladenen Teilchen an die Oberseite der Wolke wandern, die negativen nach unten. Wenn an der Unterseite genug negative Teilchen sitzen, macht sich ein so genannter Leitblitz in Richtung Erde auf die Suche nach "Ent-spannung". Kurz bevor er mit seinem dünnen, verästelten Strahl den Boden erreicht, strecken sich ihm von hohen Gelände‑Punkten Fangladungen entgegen. Jene Fangladung, die den Leitblitz als Erste erreicht, gewinnt.

 

 

 

 

Die folgende Spannungsentladung ist so gewaltig, dass sie die Luftmoleküle im Bereich des Leitstrahls in ihre Bestandteile zerlegt, sodass nur noch einzeln herumschwirrende Elektronen und Protonen übrig bleiben.

 

Ein weißglühender Plasmastrahl entsteht, der sichtbare Blitz. Und bis zu 300.000 Ampere Stromstärke mit einer Spannung von Millionen Volt entladen sich in einer Zwanzigtausendstelsekunde von der Erde in Richtung Himmel (nicht umgekehrt).

 

Rätsel gibt den Forschern noch immer die Entstehung dieser Spannung in den Wolken auf. Auch ist man jetzt unter anderem mit Hilfe der Weltraumfähren so genannten ,Elfen" und „Kobolden" auf der Spur, die seltsame bunte Lichtspuren bis in 80 Kilometer Höhe erzeugen.

Klarheit herrscht dafür nicht nur unter Forschern, wie man sich am besten vor einem Blitzschlag schützt. Dr. Diendorfer: „Man darf vor allm nicht im Umkreis von mehreren hundert Metern der höchste Punkt sein." Selbst ein Haus oder ein Schuppen ohne Blitzableiter ist ein besserer Schutz als das freie Feld, man sollte sich nur in die Mitte des Raumes begeben und nichts berühren. Wichtig ist, dass man mit geschlossenen Beinen steht, damit der Blitz sich nicht einen Abzweiger von einem Bein zum anderen durch den Körper sucht. Gummistiefel sind dabei auch keine große Hilfe, weil der energiereiche Blitz sich trotzdem (wie beim Auto, das eigentlich durch die Gummireifen isoliert sein sollte) den kürzesten Weg zur Erde sucht. Dr. Diendorfer: ,Das ist dem Blitz am Ende völlig wurscht, ob da Gummi oder ein anderes Material ist. Im Auto selbst ist man aber sicher. Auch wenn es im Extremfall bei einem Einschlag sogar die Autoreifen zerfetzen kann . . ."

 

 

 

 

 

 

Forscher starten eine Rakete, an deren Draht‑„Angel" sich spektakulär ein geführter Blitz entlädt (Ii.).

Plasmakugeln funktionieren ähnlich wie Biitze: Die hohe Stromspannung an der kleinen Metallkugel in der Mitte entlädt sich.